… erhalt uns armen Mönchen, du weißt es ja, wir brauchen es, das Bier aus unserm Tönnchen, der Saft, der aus der Tonne quoll, kann nimmermehr uns schaden, hurra, wir sind schon wieder voll, schon wieder voller Gnaden!

 

Mit derartigen Saufliedern hat die Welt sich allezeit über die Überfrommen lustig gemacht, und die frommen Mönche haben sicher nicht nur in Andechs gutes Bier gebraut.

 

Aber Maria. Maria, Maria, Maria. Dieser Inbegriff des reinen, verzeihenden, spendenden Wohlwollens, von der Gegenreformation bis zu „let it Be“, sie ist so allgegenwärtig, ihr kann sich doch keiner entziehen. Ich auch nicht.

Das erste Ave Maria, das ich selbst gesungen habe, war dank meiner lutherischen Erziehung eben dies zu Beginn zitierte Sauflied: wir sangen es, wenn wir als Gymnasiast*innen und gute ehrenamtliche Betreuer*innen von Schüler*innen aus der Obdachlosensiedlung unsere Supervisionen hinter uns hatten und an irgendwelchen Lagerfeuern noch ein Lager tranken. Wir sangen auch das Lied von Florian Geyer und das Bürgerlied, und natürlich sangen wir auch „Let it Be“. Es muss die Zeit gewesen sein, in der ich zum ersten Mal nicht nur lernte, dass das Ressentiment in der Welt einen Namen hat, nämlich Ressentiment. Vielmehr wurde mir in jenen Jahren, wegen meiner stets skrupulösen Selbstbefragung, die mich als Pastorentochter leicht kenntlich machte, egal, wie rüpelhaft und „freakig“ ich mich gab, auch klar, dass ich selbst ein massives Ressentiment in mir hatte: nämlich gegen die marianischen Frauen, gegen diese stets rein wirkenden, holden, kleinen, zierlichen Wesen, die immer alle männliche Aufmerksamkeit genießen, grundsätzlich alles richtig machen, zum Beispiel, wenn es darum geht, einen Pullover ordentlich gefaltet in den Schrank zu legen, die nie hören müssen, dass sie sich mal locker machen sollen, und die irgendwie auf einer hohen Woge des Einverständnisses aller Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Chefs durch die Welt segeln, immer perfekte kleine Beinchen und rote Schuhe an den zierlichen Füßen tragen, deren Haut immer rein ist, und die niemals, wirklich niemals irgendwem irgendetwas Böses wollen – weshalb natürlich auch ihnen niemals irgendwer etwas Böses will. Außer vielleicht den großen, trampeligen, immer unangenehm auffallenden, undordentlichen, trotzigen, barfuß zur Schule gehenden und notfalls sogar mal für eine halbe Stunde Mathe, in jedem Fall Deutsch und Latein könnenden, aber auf dem zu Tode gerittenen Fahrrad schwitzenden und unter Blähungen leidenden Frauen wie mir, die trotz eines gewissen Potentials zu ein bisschen Schönheit, Charme und Liebenswürdigkeit und relativ unauffälliger Lebensführung einfach immer auf der unreinen Seite landen, und in deren Schränke du nicht gucken darfst!

 

Wegen der Frauensolidarität habe ich daran gearbeitet. Ich habe es mir bewusst gemacht, wenn es auftauchte, ich habe es weggedrückt, ich habe mein Leben in die Hand genommen, mit Widrigkeiten und Widerständen gekämpft, ich habe natürlich außer der theologischen, philosophischen, religionshistorischen und judaistischen Literatur ganz viel feministische Literatur gelesen mit den völlig richtigen Analysen der Spaltung von marianischen und „verhurten“ Frauen als klassischer Männerphantasie, ich habe, wenn ich mal wieder auf eine von ihnen eifersüchtig war, gedacht, sie werden es auch nicht leicht haben, ich habe mir in einer wilden Selbstanalyse klargemacht, dass in meiner Wut auch gut ein paar homosexuelle Tendenzen sein könnten, und diese befreit, und dann habe ich ganz ganz lange überhaupt nicht mehr dran gedacht. Ich heiratete, ich gebar Kinder, ich stillte Kinder, ich promovierte – und dann landete ich wieder auf der Dreckseite, weil ich plötzlich als Mutter und Ehefrau nicht gut genug war und man mir das wirklich sehr sehr nachhaltig klar machen musste. Ich habe das ebenso wie andere ziemlich unschöne Dinge überlebt und dabei irgendwie keine Zeit für die alten Ressentiments gehabt.

 

 

Ein Rest davon war vielleicht zu erkennen in dem winzigen Triumph, den ich immer empfunden habe, wenn in der Zeit meiner Trauerreden trotz allem Schlamm, der nicht nur von den Friedhöfen an meinen Füßen hing, Menschen mir sagten, ich hätte sie mit einer marianischen Sanftmut begleitet und ihnen so wohl getan. Ich war ihnen aufrichtig dankbar dafür. Und dann vergaß ich auch das wieder.

 

Bis neulich etwas Unerhörtes passierte: Es war einer von diesen Tagen, an denen die Spanne meiner Tätigkeiten mich leicht überfordert. Ich hatte einen komplexen Essay abgeschickt und saß im Auto, um zu einem Hausbesuch für eine Trauerfeier aufzubrechen, nach Marzahn of all places, ich war schon etwas spät dran, das Navigationsgerät boykottierte mal wieder meine Eingabeversuche, aber als ich es schließlich geschafft hatte, war nur die Adresse des Friedhofs drin, nicht die für den Hausbesuch. Ich musste telefonieren, eventuell nochmal an den Schreibtisch, das Problem war überschaubar, aber lästig genug. Und da kam so eine auf mich zu geschossen: schwarze Engelslocken um ein gelbliches Gesichtsoval von makelloser Schönheit, winzig, perfekt gebaut, mit einem kurzen Kamelhaarmantel. Im Rückspiegel sah ich, dass sie aus einer riesigen SUV-Maschine von einem bayerischen Hersteller, schwarz natürlich, geklettert war, die imperiale Schleuder versperrte die halbe Straße und würde ohnehin nicht in die Parklücke passen, die mein Kleinwagen zu räumen im Begriff schien. Die kleine Maria hatte es eilig, wahrscheinlich musste irgendsoein messianischer Prinzensohn von der scheußlich lauten Grundschule gegenüber abgeholt werden, und das gab ihr nun wirklich jedes Recht gegen mich. Da bin ich so unhöflich geworden wie vermutlich die letzten 5 Jahre nicht mehr. Sie klopfte mit der energischen Strenge, die nur kleine zierliche Frauen aufbringen, an meine Scheibe und fragte: fahren Sie raus? Ich guckte halbblind von meinem verdammten Display hoch, ließ nicht einmal die Scheibe runter, sondern fauchte: „Wenn ich so weit bin“. Mother Mary schoss flink und zierlich in die Grundschule, kam wieder zurück, klopfte noch einmal gegen die Scheibe und fragte, warum ich nicht einfach schon mal die Lücke frei machte. Ich sagte: „Ich habe doch gesagt, wenn ich so weit bin.“ „Warum sind Sie denn jetzt so unhöflich zu mir?“, fragte sie, fast erschüttert, während ich ausstieg, drei Köpfe größer war als sie, Riesenfüße hatte, die Tür meines Kleinwagens zuknallte und ins Haus ging Richtung Schreibtisch, um nochmal die Adresse zu prüfen. Der SUV versperrte solange immer noch die Straße, und wo der messianische Sohn war, konnte ich allenfalls ahnen.

 

Irgendwann hatte ich dann das Problem gelöst, die richtige Adresse usw. Mein Navi nahm die Adresse nach ein bisschen Gefummel auch an. Und als ich losfuhr, hatte der schwarze SUV mit der kleinen Maria inzwischen eine andere Lücke gefunden. Ich war immer noch ein bisschen fassungslos über die aggressive Haltung, mit der dieses Mädel mich (vermutlich im Namen irgendeines Sohnes) hatte wegdrücken wollen, ohne jedes Verständnis für meine Situation. Ich war einfach ein störrisches Hindernis für sie – und sie wird mich entweder für verrückt gehalten haben oder für eine ausländerfeindliche Nazischnepfe.

 

So schnell geht das, dachte ich, und hoffte, die Schöne würde vielleicht den Blog lesen, den ich später schreiben würde, vielleicht mit einem kleinen Rotwein an meiner Seite, denn auch dieses Getränk soll die Gottesmutter zuweilen milde segnen. Der Rest des Tages verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich machte meine zwei Hausbesuche, ich hörte Radio im Auto, ich fuhr noch zu meinem Sport – und am Ende des Tages war ich sogar ein bisschen beruhigt, weil ich bemerken durfte, dass ich noch richtig wütend werden kann. Es hatte mir fast schon gefehlt.

 

Ave Maria mundi spes, erhalt uns alten Nönnchen, du weißt es ja, wir brauchen es, den Groll und unsre Wönnchen …

Ave Maria mundi spes

5 Kommentare zu „Ave Maria mundi spes

  • 20. März 2018 um 8:13 am Uhr
    Permalink

    … ich hätte sie zugeparkt.Den Motor ausgeschaltet und solange gewartet bis sie mich gefragt hätten
    wann ich denn wegfahre.
    Dann , kleine Startversuche vortäuschend , meine Antwort “ Wenn er soweit ist und wieder anspringt“ !

    Antworten
  • 20. März 2018 um 8:21 am Uhr
    Permalink

    Dieser Text ist ein echter Page-turner, nein ein Weiter-wischer auf meinem Smartphone. Ich werde richtig reingezogen in diese Geschichte. Wenn ich Gefällt-Mir-Buttons je vergeben würde, dann mindestens ein Dutzend.
    Der Ich-Hab-Was-Gelernt-Button sollte eingeführt werden. Fritz grüßt herzlich.

    Antworten
  • 24. März 2018 um 7:56 am Uhr
    Permalink

    Ich kann weder diesen Text weder einfach „herrlich“ noch guten Gewissens „fraulich“ loben, zu loben ist er, aber anderes als abgedroschenes „großartig“ fällt mir nicht ein. Dankeschön.

    Antworten
  • Pingback:Perle des Tages | Von heiligen Frauen... ⋆ Die Dorettes – von mir für Dich

  • 30. März 2018 um 3:33 pm Uhr
    Permalink

    furios! – (nach)gelesen am heiligen karfreitag!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert