Kleine Überlegungen zum Wahlausgang in Israel.

Einstweilen war es nur ein Anruf aus der Wüste. Aber sehen wir mal, wie es in den kommenden Monaten weiter geht. Die erste Feststellung lautet vor allem: Es gibt sehr viele Menschen in Israel, die nicht annektieren und dominieren wollen. Menschen, die die Idee eines palästinensischen Staates vielleicht doch eher mit: „Gute Idee, wie können wir helfen?“ beantworten. Einstweilen werden sie nicht nur von durchgeknallten Palästinenserführungen niedergebrüllt, sondern auch knapp überstimmt von „ihren eigenen Leuten.“ Aber sie sind da. Nun ist die Frage: wie steht es in den palästinensischen Gebieten? Gibt es dort trotz mehr oder weniger infantiler Moralen vieler Unterstützer und trotz der dort hausgemachten Autoritätsfixierung eines sich verschärfenden Islamismus Leute, die den Mumm haben, den es braucht, um mit einer dominierten Situation kompetent und konstruktiv umzugehen? Was wären denn, abgesehen von den vielen wichtigen Einzelfragen, die großen Linien, in denen nun weiter zu denken wäre?

Konstruktiver, gewaltloser Umgang mit Heteronomie verlangt leider immer von den Unterdrückten ein Vielfaches Mehr an Selbstdisziplin als es die Unterdrücker aufwenden müssen. Das weiß jede Frau, das wissen alle people of colour, das wissen alle, die irgendwann aus irgendeinem Grund mal in eine solche Lage dauerhaft geraten waren. Die Tragödie der arabischen Welt besteht darin, dass ihre Führer die erforderliche Selbstdisziplin mit einer harten Hand nach innen verwechseln. So produzieren sie massenhaft opfermutige und gewaltgewohnte Menschen, die sich zwischen zwei bis zwanzig schlechten Heteronomien entscheiden müssen, aber den Weg in ehrliche Autonomie nicht finden können. Damit das anders wird, ist es so wichtig, dass sie lernen, ihre Frauen zu emanzipieren, das Rückkehrrecht aufzugeben, das ihnen Gebliebene aufzubauen, dafür zu sorgen, dass in ihrem Einflussbereich alle Anmut und Freundlichkeit lernen und schließlich ihrerseits als Antwort auf den jüdischen Staat und seine Sicherheitsbedürfnisse formulieren: „Ihr seid von aller Welt verfolgt worden und wollt dieses bestimmte Gebiet? Ihr habt Angst vor uns? Wie können wir helfen?“ Das ist schon sehr viel verlangt. Aber tatsächlich wird eine Verharmlosung der autoritären Gefahr in diesen Regionen niemanden aus irgendeiner Sackgasse herausführen.

Aber wir, wir faul und feist gewordenen Europäer*innen auf den hohen moralischen Rössern, die immer gern fragen, warum die da unten so gewalttätig und so rachsüchtig und so ausbeuterisch sind? Anstatt ihnen irgendwelche Lehren über Traumaverpflanzung zu verabreichen und den damit zusammenhängenden Parallelisierungsunsinn nebst Pseudoexpertisen zu verzapfen, könnten vielleicht auch wir uns mal dankbarer äußern? „Wir haben über unsere ausbeuterischen und mörderischen Vorfahren trotz allem auch ein großes Wissen über eure Bibel erworben. Wir haben nach der letzten großen Niederlage Demokratie lernen dürfen. Wir sehen, dass ihr in eurem Land wieder so bedrückt seid, dass ihr das Universalisieren der Moral, die ihr doch selbst verwahrt und bewahrt, für schädlich und unmöglich halten müsst? Wie können wir da helfen?“

Vielleicht können die milderen Kräfte in Israel die kommenden Monate gut nutzen. Sie können das umso besser, je energischer auch die anderen Seiten sich bewegen.

Anruf aus der Wüste

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