Jetzt muss ich Ihnen dann doch auch auf diesem Blog mal etwas erzählen. Also etwas fast Privates. Der Tatort vom letzten Sonntag hat ja  wieder alles nach oben gespült. Anders als Stefan Aust und andere habe ich ihn gar nicht so gesehen, als würde er „RAF-Propaganda“ betreiben – aber selbst liebe Freunde von mir behaupten das. Und schon sind auch wieder die Pfarrhäuser an allem schuld. Geht’s noch?

Ich erinnere mich, wie ich mich als Kind schon schämte, den Beruf meines Vaters zu verraten. Dann musste ich im jugendlichen Alter erst einmal eine Position finden, die meine Kritik am Protestantismus irgendwie mit einem Rückgrat im „zu meiner Herkunft stehen“ auch dann noch verbinden ließ, wenn die Mutter des Jungen, in den ich verliebt war, diesen vor mir warnte, weil ich als Pastorentochter doch gefährlich sei (RAF usw., und dann diese Neigung zur Hypotaxe! Dabei schob ich ihm immer bei den Lateinklausuren meinen Entwurf zu, damit er durch kam).

Wieder ein paar Jahre und gründliche Studien später, ich war selbst dabei, Theologin, Judaistin und Religionswissenschaftlerin zu werden (mit einem Stipendium von der Evangelischen Kirche) heiratete ich einen jungen Mann, der nicht mehr Katholik sein wollte, und ich dachte, das passt, denn ich wollte nicht mehr im engeren Sinne Protestantin sein. Unsere Kinder ließen wir nicht taufen, wir machten vieles richtig und noch mehr falsch, und als ich meine Dissertation fertig hatte und einen Zweitgutachter suchte, fragte mich der Theologe und Deismusexperte Christof Gestrich, zu dem mein Doktorvater mich geschickt hatte, dreimal nach dem theologischen Referenzrahmen meiner Arbeit über John Toland. Ich habe die Frage zweimal sachlich beantwortet – und als er sie ein drittes Mal stellte, habe ich ihn gefragt, ob er eigentlich ein Bekenntnis wolle: das würde er von mir nicht bekommen. Das Zweitgutachten bekam ich dann aus Jerusalem, vom dortigen Experten fürs Neue Testament, Guy Stroumsa.

Ein zweites Jahr in Jerusalem später ging es meiner Ehe wie vielen anderen auch, sie scheiterte. Der Erwähnung wert ist es nur deswegen, weil in den Auseinandersetzungen in ihr und über sie letzten Endes der Konfessionsgegensatz eine viel größere Rolle spielte, als er vielleicht gespielt haben würde, wären wir beide „positiv religiös“ gewesen. Das hängt damit zusammen, dass unter Protestanten und Katholiken alle zentralen psychosozialen Begriffe und Redeweisen völlig unterschiedlich kodiert sind. Selbstkritik gilt unter Protestanten als Tugend, unter Katholiken als eine Torheit. Wahrhaftigkeit unter Protestanten als Würdigung, unter Katholiken als Kränkung. Und dann alles doch wieder nicht, in jedem Fall fand ich mich zuletzt als das geschmäht, was ich nie hatte sein wollen: eine gefühlskalte, leistungsorientierte Protestantin, zugleich ein unerträglich sensibles Weichei, das keinen mobilen Dienstkörper zustande bringt und trotzdem Komplimente haben will. Okay. Habe ich auch alles hinter mich gebracht, und vieles mehr. Ich habe (da ich danach wieder an einen Katholiken geriet) tatsächlich insgesamt 20 Jahre als die persönliche Empfängerin der Protestantismuskritik von „lapsed Catholics“ hinter mich gebracht und in weiteren Jahren verarbeitet und abgearbeitet.

Und heute? Ich bin immer noch Protestantin, durchaus wieder stärker bekennende – aber immer noch auch eine äußerst kritische, was die eigene Kirche und die eigene Tradition noch in der säkularisierten Form angeht. Jedoch, liebe Freundinnen und Freunde, der Herr Kraushaar hier, der hat wahrscheinlich meinen letzten Blog und vieles mehr von mir und anderen zum Thema gelesen – und das Ergebnis ist dünn. Denn ja, die RAF-Leute kamen großenteils aus protestantischen Elternhäusern: aber vielleicht waren gerade die Mädchen unter ihnen deswegen so bereit, sich dem katholischen Schreihals Baader unterzuordnen? Für so etwas hatten die nämlich vermutlich ähnlich wie ich kein Programm auf der Festplatte – und vielleicht hatte ich nur Glück, dass ich einfach eine in der Wolle gefärbte Demokratin aus einem grunddemokratischen Elternhaus war: wäre hingegen mein Vater so gewesen wie der Klischeepastor aller entsprechenden Gruselfilme (solche kannten wir unter den Amtsbrüdern meines Vaters durchaus), wäre vielleicht auch ich einer Terrortendenz auf den Leim gegangen. So musste ich halt nur gegen Klischees kämpfen und lebenslänglich zwischen allen Stühlen herumhängen, mildernd, begütigend, immer wieder doch angegriffen reagierend, und immer neu nach Lösungen suchend – oft scheiternd, manchmal nicht. Das Programm für den Umgang mit Leuten aus der anderen Konfession ist halt kompliziert herzustellen (vielleicht sogar komplizierter als das für den Umgang mit Leuten aus anderen Religionen), und wenn man es endlich nicht mehr braucht, hat man Mühe, es wieder runterzukriegen.

Und die Konsequenz? Ja, die Terrorist*innen sind je einzeln für ihre jeweiligen Terrorakte verantwortlich, so oder so, und daran war nie etwas zu beschönigen (eine grundprotesantische Ansicht, oder?)

Und nein: es ist trotzdem und auch im Lutherjahr nicht so, dass der Protestantismus an allem schuld wäre, oder gar so, dass ein gepflegter Katholizismus mit seiner Variante der Anti-Ego-Rhetorik a priori vor Schändlichkeiten aller Art schützte. Klar soweit? Danke!

Und: Obwohl mir solche Sendungen wie die hier verlinkte, wenn sie von wirklich lieben katholischen Freunden verbreitet werden, immer noch einen Stich geben, bin ich dafür, dass man sie senden darf. Das sollten wir uns weiter alle leisten. Den Tatort, die Kritik daran, und auch das ganze alte dumme Zeug über den Protestantismus, der an allem schuld ist. Nur sollten wir auch deutlich widersprechen, ebenfalls öffentlich, wo das nötig und möglich ist.

http://www.deutschlandfunk.de/raf-und-religion-kein-zufall-dass-viele-linksterroristen.886.de.html?dram%3Aarticle_id=398316

„Die RAF war ja überwiegend protestantisch“ – bitte nicht das wieder!

Ein Kommentar zu „„Die RAF war ja überwiegend protestantisch“ – bitte nicht das wieder!

  • 19. Oktober 2017 um 5:44 pm Uhr
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    Das ist ein grossartiger Text.

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