Gestern abend war die Welt schon nicht mehr ganz so in Ordnung. Durch Tor 2 des Doms am Berliner Lustgarten (was für ein Name aber auch!) strömten Frauen zu einer Tagung mit dem Titel „Heilig, aber ungerecht“ – und in dem im 2. Stockwerk des Doms gelegenen Veranstaltungssaal sprachen acht hochqualifizierte Frauen unter einem schmerzhaften Bild (es zeigt einen rose geschminkten Frauenmund, der mit einem messingfarbenen Reißverschluss schon halb verschlossen ist) über die Frage der Geschlechtergerechtigkeit in ihren Kirchen.
https://www.eaberlin.de/nachlese/chronologisch-nach-jahren/2017/heilig-aber-ungerecht/
Viele kluge Gedanken wurden geäußert, und manchmal wurden sogar Namen und die mit ihnen verbundenen Probleme genannt. Was das angeht, war es natürlich wie es immer ist, und das mit Ansage: hier sind die eigentlich Freien nicht die, die noch Karrieren machen müssen (immer auch noch gegen dieses „das musst du doch gar nicht, du könntest doch auch gut heiraten, man muss auch wissen, was einem wichtig ist im Leben“ der Umstehenden an), und auch nicht die, die zu viel aufgegeben haben, um dieses oder jene Ziel „ganz in den Fokus zu nehmen“, und nicht die, die mitten in einer Karriere sind und tausend Rücksichten nehmen müssen, um nicht abzustürzen – sondern frei, heiter und gelassen sind die am meisten, die ihre Karriere gemacht haben, nun im Ruhestand sind und sich aufrichtige Rechenschaft über sich und die Welt, in der sie ihr Berufsleben verbracht haben, ablegen können. Sie arbeiten in Ehrenämtern weiter und können endlich tun, was sie für richtig halten.
Da aber Ältere und Jüngere, Erfolgreiche und Angeschlagene oder sogar Abgeschlagene und alles dazwischen zusammen gekommen waren, ging es zuweilen auch emotional her. Nicht nur die „radikale katalonische Nonne“, auch Frauen aus dem Publikum brachten starke Ansichten vor, bis hin zu einem Aufruf zum Ungehorsam gegenüber der katholischen Kirchenleitung, die Frauen die Priesterweihe und gemischten Paaren die gemeinsame Kommunion verweigert. Und wenn es etwas gab, worin sich alle einig waren, dann sicher dies: Ökumene, die auf Kosten einer Klarheit in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit geht, ist nicht die Ökumene, die christliche Frauen wollen. Das war die weibliche Kritik an der Kuschel-Ökumene. Auch ich fand mich ein mit der Frage, wo zieht man eigentlich die Grenze? Für was riskiert man, wie seinerzeit die Reformatoren, die Kirchenspaltung bzw. den eigenen Rausschmiss? Darüber haben alle wohl immer wieder nachgedacht. Sie werden die Nachlese zur Konferenz, die heute noch weiter geht, sicher im Netz finden.
Und heute früh? Lese ich fast als erstes einen Artikel, in dem ein Herr Müller, der ziemlich viel aufgegeben hat, um im Vatikan was zu werden, und schließlich selbst seinen Posten nicht verlängert bekam, uns Protestant*innen indirekt zur Ordnung ruft. Direkt wendet er sich nur an seine eigenen Leute: die sollen mal nicht so sehr auf Versöhnung mit den Protestanten aus sein, dass sie darüber vergessen, diese zur Wahrheit zu führen. Na geht doch, habe ich gleich gedacht, so hilfst du uns doch, so kommen wir endlich wieder auf die Füße, von denen wir in der ökumenischen Umarmung schon fast gefallen waren. Und ich fühlte mich sehr protestantisch. „Die Kirche kann nicht irren!“ sagt er, das sollen wir endlich alle wieder glauben, vor allem aber soll sie selbst es glauben, also seine Kirche.
https://www.domradio.de/themen/%C3%B6kumene/2017-10-25/kardinal-mueller-kritisiert-reformation-unter-luther
Wer nämlich etwas anderes behauptet, etwa, dass hier und da ein Fehler gewesen sein könnte, wer bestreitet, dass die Reformation ein Aufstand wider den Heiligen Geist war, der, nun ja, der ist wohl irgendwie ungehorsam.
Und wen interessiert das? Bei manchen Kirchlichen kommt erst langsam als Realität an, was sich aus dieser eben schon wieder zu verabschieden beginnt: dass es wirklich viele Menschen gibt/gab, die gut ohne Religion leben können. Dass Menschen die Kirchen verlassen. Manche Kirchenführer*innen reagieren darauf hochgelassen und sagen: so ist das eben. Wir müssen angesichts dieser Entwicklung bei uns bleiben und das tun, was uns als das Richtige erscheint. Diese freie Position wurde gestern auf dem Podium erfreulich klar formuliert. Andere reagieren mit dem Ruf nach Zwang und Gewalt, um die entlaufenen Schafe wieder einzusammeln (eine Position, die auf der Frauentagung definitiv nicht vertreten wurde).
Das eigentlich Beunruhigende für mich bleibt freilich: Glaubensgemeinschaften, die hierarchisch stark sind und Mittel in die Hand nehmen, um die „Unteren“ und die Frauen und die „Sünder“ auszuschließen und zu maßregeln, interessieren wieder jede Menge Leute. Die „besonders Strengen“ haben in „orientierungsschwachen“ Zeiten besonderen Zulauf. Innerhalb der Evangelischen Kirchen und innerhalb der Katholischen Kirche und innerhalb vieler anderer Religionsgemeinschaften auch. Ich nenne sie immer noch die Internationale der Religiösen Reaktion, denn ob kuschelnd oder nicht, ob sie sich gegenseitig nach vorne bekämpfen: im Bodensatz, so viel die Frauen betroffen sind, ähneln sie einander sehr, und da kooperieren sie auch stillschweigend. Noch der evangelische Bischof, der sich für Flüchtlinge einsetzt, aber wegschaut, wenn in Flüchtlingsfamilien die Frauen, die am westlichen Leben voll teilhaben wollen, mindestens mal fliehen müssen, wenn ihnen ihr Leben lieb ist, kooperiert hier. Und nun hat mich also der Kardinal Müller wieder daran erinnert, dass es gegen diese Internationale der Religiösen Reaktion noch viel zu tun gibt. Die Damen im Dom hingegen haben mich gestern ermutigt in der Zuversicht, dass es innerhalb der beiden großen Kirchen Frauen und Männer gibt, die immer noch und womöglich selbst dann noch, wenn China es schafft, ganz ohne Religionslehren einen dogmatischen Autoritarismus weltlich zur Geltung und die Frauen aus den öffentlichen Repräsentanzen wieder heraus zu bringen, für Recht und Mitsprache und Würde der Frauen eintreten. Das mag keine „Kuschel-Ökumene“ werden, aber vor einen radikalen -Ismus, gleich welcher Farbe, werden wir uns wohl alle nicht spannen lassen, solange wir nun einmal „ungehorsam“ sein müssen.