Wenn irgendwo jemand etwas religiös nicht recht „Billiges“ sagt, kann er schnell sehr „marginalisiert“ werden. Oft sagen Leute etwas, das ich richtig schlecht finde, und solange sie Macht und Ansehen haben, halte ich dann auch mit Kritik drauf, muss gemacht werden. Wenn dann aber einer total „geschnitten“ wird, werde ich doch neugierig und aufmerksam – zu vertraut ist mir der Mechanismus, mit dem sich mehr oder weniger korrupte Organisationen oder Gemeinschaften zu „reinigen“ pflegen, indem sie eine/n als besonders schlimm ausgrenzen. Und ich beginne, mich für die zu interessieren, die einen solchen ausgegrenzten Missetäter weiter mit Respekt behandeln. Am Sonntag bin ich dieser Neigung wieder einmal nachgegangen. Als ich sah, dass Notker Slenczka in der Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche (die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche! Ansichtskartenbild aus dem alten Westberlin, die Stadt an sich, der Ort, an dem aus Krieg und Wiederaufbau etwas Neues entstanden ist, in meiner beengenden Mottenkiste Kirche zudem!) predigen würde, und zwar über den Kulturprotestantismus, auch nicht gerade das Lieblingskind der Edlen meiner Fächer. Nun ist Notker Slenczka kein wirkliches Opfer – er ist immer noch ordentlicher Professor am Lehrstuhl für systematische Theologie an der Fakultät der Humboldt-Universität. Nicht arm, nicht bedroht. Aber von „meinen“ Leuten für indiskutabel erklärt, weil er die in der Tat skandalöse Forderung erhoben hat, die Hebräische Bibel, unter Christen als Altes Testament bekannt, aus dem christlichen Kanon auszuscheiden.

Der Abendgottesdienst war angenehm schlicht. Das Gebäude von Eiermann ist immer schön mit seinem blauen Licht, mit diesem seltsam entrückten und zugleich so zugewandten gen Himmel fahrenden goldenen Christus von Klaus Hemmeter (der mich in seiner einfachen Gewandung immer an den romanischen Christus im Braunschweiger Dom erinnert) im Zentrum, und mit dem Mobiliar, das allmählich verschleißt, aber immer noch wunderbar modern aussieht. Man hat viel Platz, denn die Kirche ist nur zu allenfalls einem Drittel ausgelastet. Das ist schon viel. Die Orgel, ein feines Stück, wird vorzüglich bespielt. Die Pastorin schämt sich nicht, durchaus anspruchsvoll zu sprechen. Auch Slenska hat keine Angst vor ordentlichem Deutsch, und er kann bekanntermaßen sehr gut sprechen. Die Liederauswahl ist wunderbar, das Glaubensbekenntnis gesungen, geht auch besser, als wenn es im Chor gemurmelt wird, und man betet gemeinsam einen Psalm – aus dem Alten Testament. Er würde sehr fehlen, das sieht auch Notker Slenczka ein. Er eröffnet seine Predigt mit der Anrede „Meine andächtigen Freunde“ – die er zugleich erläutert (sie ist natürlich von Schleiermacher) und wirksam einsetzt mit Wiederholungen. Er macht sehr plausibel, wie modern die Kulturprotestanten waren, als sie Freiheit und Fortschritt, Einheit der Menschheit (mit der Aufforderung an Frauen, sich gelüsten zu lassen nach der Bildung und der Ehre der Männer!) und Friede auf Erden wichtiger fanden als das korrekte Herbeten der Glaubensformeln von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Er spricht vom Licht. Und sagt, von den Schatten, die sie auch geworfen hätten, spreche er heute nicht. Ich denke, der Schatten ist bei den Universalisten heute doch immer allzu klar: Abstreifen des Bestimmten. Und das ist immer das nicht ganz und gar in Gelehrsamkeit Aufgehende an der Weiblichkeit – und dieses „partikular Bleibende“ am Jüdischen. Im Geiste ziehe ich ein paar Linien um den goldenen Christus. Und gehe dennoch aus dem Gottesdienst mit dem Gefühl, dass es sich nicht nur gelohnt hat, sondern auch sehr schön war. Wie ein Besuch im Museum meiner Heimat, der westdeutschen Moderne. Draußen schien die Sonne.

Museum der religiösen Moderne?

Ein Kommentar zu „Museum der religiösen Moderne?

  • 25. Juli 2017 um 9:16 am Uhr
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    Schön, hab mich mit diesem Herrn Slenczka auch auseinandergesetzt. Er wiederholt nur Adolf von Harnack. Martin Buber hat dazu alles gesagt im Blick auf den Holocaust. So wird Religion museumsreif, ja in Museen abgeschoben. Nicht umsonst hat Karl Barth diesen Kulturprotestantismus Schleiermachers vehement zurückgewiesen. Und Kierkegaard wäre noch deutlicher gewesen.

    Glückwunsch zum gelungenen Blog!

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