Die Religionskriege im Nahen Osten erinnern geschichtsbewusste Europäer*innen immer an die Zeiten der Religions- und Konfessionskriege in Europa. Es sind Kriege, die außer gewaltigem Elend für viele einzelne Menschen (und jedes Opfer ist eines zu viel, das muss und soll weiter gelten!) auch Stoffe für Königsdramen der modernen Art hervortreiben. Gestern habe ich mich neben meinen sonstigen Arbeiten per E-Mail mit einem langjährigen Freund ausgetauscht, der in Hamburg ehrenamtlich Deutschunterricht für Flüchtlinge gibt (er ist pensionierter Deutschlehrer und mit Sicherheit ganz besonders qualifiziert für diese Aufgabe). Abends habe ich im Magazin der vorletzten ZEIT (Nr. 20) dann noch die zwei Artikel von Mohamed Amjahid über syrische Frauen gelesen: einen über Frau Assad, einen über Frau Berkdar. Der Freund fragte, wie ich den Beitrag über Frau Assad fände, er sei auch nicht sehr erhellend, oder? Meine Antwort stelle ich hier allgemein zur Verfügung und lasse sie im E-Mail-Stil:

„Ist auch nicht erhellend. Wird eine Geschichte von Desillusionierung und Reillusionierung sein. Es gibt dort ja kein ‚zurück‘. Lass sie aufgewachsen sein wie geschildert, im UK, mit dem harmlosen Kitsch der Monarchie, der gut zu Prinzessinnenträumen passt, mit dem unsterblichen Bullshit der Korepräsentation, der auch bei uns in den politischen Parteien und weit darüberhinaus geglaubt wird, dieses ‚die Frau führt von innen und von hinten und hat einen Einfluss auf das Herz ihres Mannes‘, lass sie sich verliebt haben zu einer Zeit, als man noch glauben konnte, das syrische Regime sei halt eine säkulare Variante des ‚orientalischen Despotismus‘, bei der noch am ehesten irgendwann dann auch eine Demokratie herauskommen könne – und dann kommt sie in den wirklichen Nahen Osten! Spätestens seit dem Ende Saddams und Ghaddafis ist klar, was dem Herrscher blüht, der besiegt wird, das willst du dir für einen Mann, den du vielleicht liebst, nicht vorstellen, und was du ‚im Kleinen‘ tun kannst, wird dir unter der Hand zerschlagen, weil die Apparatschiks durchaus mächtiger sind als das ‚Herz‘ deines Mannes, der Westen, in den du zurückkehren dürftest als öffentlich ‚Desillusionierte‘ und ‚Kronzeugin‘, hat sich dir längst mit der Fratze gezeigt, die im Nahen Osten bekannt ist (als der rohstoffgeile Destabilisator wirklich ALLER Arten von Staaten, die tatsächlich ’selbst [’selbst‘, das sind immer die korrupten ‚Eliten‘] ihre Rohstoffe verarbeiten und bewirtschaften und ein eigenes Gewaltmonopol halten wollen), und du kennst sie längst, die Märchenleser, die an deinen Kleidern zupfen und Wunder von dir hoffen und natürlich bereit sind, dich zu lynchen, wenn du sie nicht bringst und wenn sie dich in ihre Hände kriegen. Die ‚Rebellen‘ im Land sind nicht nur als IS Islamisten, denen du das Land nicht ausliefern willst, das sagt dir auch dein Mann, wenn du mal wieder Bedenken äußert, im übrigen lässt er dich nicht in seine Karten gucken, ‚es ist besser für dich, Schatz, lass uns unsere Liebe davon abschirmen, Politik ist ein schmutziges Geschäft, und deine Rolle ist wichtig, spiel sie gut!‘

So etwa stell ich mir das vor. Und dann ist sie mitgefangen in der Logik, die man schon ganz zu Beginn des Syrienkrieges verkündet hat: Assads könnten gehen, in irgendein Exil, in dem sie unter permanenter Bewachung stehen müssten. Oder sie würden getötet, wenn das Land in die Hände irgendwelcher rivalisierender Islamisten fällt. Oder sie würden siegen. So richtig a la Macchiavelli, mit allem, was das kostet. Was weiß davon ein ZEIT-Reporter, welcher Herkunft auch immer? Er lebt gut beschützt von einer als solche kaum kenntlichen Herrscherclique in Hamburg und findet es auch schön, mal ein bisschen enttäuscht zu sein von einer Frau, die doch eigentlich ganz schön und ganz nett sein könnte und ‚alle Chancen auf ein bewundersnwert normales Leben gehabt hätte, gut integriert in England‘ usw. Der Nahe Osten ist aber nicht England, und lass uns alle beten, dass England nicht der nächste Nahe Osten wird. Dazu muss man vielleicht nicht ‚rechts‘ werden, bitte nicht. Aber naiv sein soll man auch nicht mehr. Die Königsdramen sind die Shakespearsche Seite der Sache. Die andere lernen wir alle durch die Flüchtlinge kennen.“

 

Zu den Bildern: Das Beitragsbild zeigt die zur Zeit in der Ausstellung „Welcome to Jerusalem“ im Jüdischen Museum Berlin gezeigte Installation „Present Tense“ von Mona Hatoum. Aus Seifenwürfeln gefertigt, mit kleinen Perlen werden die Gebietsgrenzen Palästinas auf der Fläche abgebildet. Ich finde diese Installation so problematisch wie Kunst eben noch sein darf. Denn Seife hat nun mal eine Konnotation. Aber in der Kunst sollen wir genau darüber reden. Das andere Bild zeigt Elfenbeinschnitzwerk aus spätmittelalterlichen deutschen Kirchenschätzen, ausgestellt im Kunstgewerbemuseum.

 

„Was sagst du zu der Gattin des Mörders?“ „Shakespeare-Stoff im ZEIT-Magazin“

12 Kommentare zu „„Was sagst du zu der Gattin des Mörders?“ „Shakespeare-Stoff im ZEIT-Magazin“

  • 24. Mai 2018 um 1:05 pm Uhr
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    Ich bin fasziniert von dem kalten Licht, das der sehr besondere Text auf die Seelennot einer orientalischen Herrschergattin wirft. Widersprechen möchte ich der impliziten Behauptung, ein pensionierter Deutschlehrer sei für die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache qualifiziert. Ich hörte von einem typischen Rentner dieser Art, der in seinem schöngeistigen Dusel muslimischen jungen Männern Goethes Mailied vorsetzte. So werden Migranten Opfer fehlgeleiteter Integrationsbemühungen. Außerdem ist im Text von einer „Herrscherclique“ die Rede, die einem Journalisten in Hamburg „kaum kenntlich“ Schutz biete. Wer soll das sein? Wird hier das polizeiliche Gewaltmonopol des Rechtsstaats diffamiert?

    n

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    • 24. Mai 2018 um 3:21 pm Uhr
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      Danke für den Kommentar. Zum ersten Punkt: Wo ist der Fehler an der Freundlichkeit eines Deutschlehrers, wenn er muslimischen jungen Männern Goethes Mailied „vorsetzt“? Es kommt doch sehr darauf an, wie es präsentiert wird: aber die Freude an der Darbietung der eigenen Kultur muss man sich doch nicht nehmen lassen? Die gefürchtete „Diffamierug“ des polizeilichen Gewaltmonopols des Rechtsstaats findet ebenfalls nicht statt: Was in der westlichen Welt mit Recht Stolz auslöst, weil man die Errungenschaften eines rechtsstaatlich organisierten Gemeinwesens zu schätzen weiß, stellt sich doch in den (tendenziell von Wahrnehmungsschemata, die sich an Warlords und ihren Banden orientieren) Gebieten, in denen „der Westen“ als eine Größe operiert, die ihre eigenen Außengrenzen schützt, die ihrer Rohstofflieferanten aber missachtet, kaum anders dar als nur eine relativ gepflegte Innenwelt einer besonders großräumig organisierten und operierenden „Herrscherclique“. Die ironische Übertreibung zu erkennen, traue ich meinen Leser*innen zu.

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  • 24. Mai 2018 um 8:51 pm Uhr
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    Die sogenannte Innenwelt der Herrscherclique übt immerhin auf Millionen junge Männer eine besondere Anziehung aus. Vielleicht suchen einige von ihnen einen gerechten Ausgleich dafür, dass Deutschland ihren Ländern schrecklich zugesetzt und ihre Grenzen missachtet hat. . Der deutsche Imperialismus muss furchtbar gewütet haben im Irak, in Syrien, in Sierra Leone, in Afghanistan, in Tschetschenien, im Iran, um nur ein paar Länder zu nennen, aus denen die Bewohner einer Hamburger Unterbringung kommen, um die ich mit anderen ein wenig nachbarschaftlich kümmere.

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    • 24. Mai 2018 um 9:44 pm Uhr
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      Ich verstehe den Impuls, deutsche Rechtsstaatlichkeit in Schutz zu nehmen – und teile ihn ja. Die konkreten Erfahrungen sind mit den abstrakteren Interpretationen der Geschichte des Kolonialismus sehr oft nicht zusammen zu bringen. Dennoch habe ich selbst in der Begegnung mit Menschen aus dem „arabischen Halbmond“ und anderen dem „Nahen Osten“ zu zu ordnenden Gebieten immer wieder erfahren, wie verrückt sie es finden, dass „wir hier“ so gut leben. Ich neige ja im allgemeinen eher zur genervten Kritik der „methodischen Lebensführung“ und ihrer Exzesse. Aber ich glaube zugleich, dass etwas davon schon nützlich wäre, wenn die Leute in den Ländern ihre eigenen Gemeinwesen etwas effizienter gestalten wollten. Zugleich kann man kaum die Augen davor verschließen, dass es aus ihrer Perspektive eben „der Westen“ war, der die entscheidenden Schritte zur Verselbständigung dann doch immer wieder verhindert hat. Über die deutschen Anteile an der Sache haben die einschlägigen ThinkTanks sicher jede Menge Informationen gesammelt.

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  • 25. Mai 2018 um 4:01 am Uhr
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    Was die Verselbständigung vom Westen betrifft, so ist dafür ein beeindruckendes und folgenreiches Beispiel die Nationalisierung der Erdölförderung im Arabischen Halbmond, die gigantische Geldtransfers aus dem Westen in die Region ausgelöst hat. Ist davon ein nennenswerter Teil in Werke der Barmherzigkeit geflossen, die ein hiesiger Religionswissenschaftler unter Polizeischutz als ethischen Kern des Islam bezeichnet? Gibt es außer Vergeudung, Korruption , Ausbeutung pakistanischer Heloten, aggressiver Selbstviktimisierung, Vernichtung eines erfolgreichen Nachbsrstaats und der Vorstellung, alles werde gut, wenn wir so leben wie in Mekka um 650 , noch andere Konzepte einer effizienten Gemeinwesengestaltung? Wir sollen unsere Flüchtlingsarbeit hier leisten, einen halbwegs vernünftigen Weg zwischen Öffnung und Schließung suchen, aber nicht immer in dem Bewusstsein der Schuld.

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    • 25. Mai 2018 um 5:13 am Uhr
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      Die Idee, hier eine persönliche Schuld an missratener Politik in den islamistischer werdenden Ländern zu unterstellen, liegt mir bekanntlich völlig fern: ich gehöre doch zu den Leuten, die seit Jahren darauf aufmerksam machen, wie imperialistisch sehr viele islamische und islamistische Bewegungen selbst auftreten, die ebenfalls seit Jahren alle westlichen Prinzipien gegen innere und äußere Kritik verteidigen, auf die prinzipiellen Unterschiede zwischen der sogenannten Islamophobie und den phobischen Ängsten gegenüber weit harmloser auftretenden Religionen oder Menschengruppen hinweisen und ganz generell nicht viel davon hält, politische oder menschliche Beziehungen auf Schuldzuschreibungen zu stellen. Aber um den Westen zu verteidigen, der unter den inneren und äußeren autoritären Tendenzen zu einer historischen Episode zu verkommen droht, muss man eben ehrlich sein mit den Problemen, die er hat. Und neoimperialistisches Auftreten ist nun einmal ein Teil der Probleme zwischen Norden und Süden, Westen und Osten usw.

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  • 26. Mai 2018 um 11:11 am Uhr
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    Gibt es so etwas wie legitime Islamophobie? Darf man sich vor einer Religion fürchten, die von Beginn an aggressiv und gewalttätig aufgetreten ist und noch viel insistenter die Menschheit aufteilt in Gläubige und Ungläubige, als dies bei den älteren Monotheismen der Fall ist, und die Unterwerfung zum namensgebenden Prinzip erhebt? Inwiefern ist der Ausdruck „phobische Angst“ kein Pleonasmus?

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    • 26. Mai 2018 um 12:28 pm Uhr
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      Ob und wovor jemand Angst hat, das richtet sich in der Regel nicht nach dem, was „man darf“. Mir erscheint aber die Furcht vor mindestens mal dem gewaltaffinen Islamismus „rationaler“ (also besser in erkennbaren Merkmalen des gefürchteten Objekts begründet) als die vor friedlich lebenden Jüdinnen und Juden oder Christ*innen oder Muslim*innen oder Nichtreligiösen. Damit ist auch die Frage nach dem Pleonasmus beantwortet. „Phobisch“ hat sich als Adjektiv klinisch verselbständigt und bezeichnet eine bestimmte, projektive und im gefürchteten Objekt selbst nicht begründete Angst, ist also hier eine Spezifizierung.

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  • 26. Mai 2018 um 4:33 pm Uhr
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    Dass man sich vor gewaltbereiten Fanatikern fürchtet. Ist so unerfrrulich wie trivial. Angst dagegen hat einen Zug ins Allgemeine, eine Neigung die empirische Bodenhaftung zu verlieren. Phobisch wird man sie wohl dann nennen können, wenn der Affekt in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zum angstauslösenden Moment steht. Aber wo verläuft die Grenze? Wenn eine Gruppe arabisch anmutender junger Männe mit der modischen Variante des Nazihaarschnitts (kurz an den Seiten, oben eine Art Bürste) auf mich zukommt, steigt in mir Angst auf. Ich würde dann gern die Straßenseite wechseln. möchte mir aber keine Blöße geben. Ist das schon eine phobische Reaktion?

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    • 26. Mai 2018 um 4:59 pm Uhr
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      Sehe ich nicht so – aber ich bin ohnehin, auch wenn ich das Vokabular der Psychoanalyse der Einfachheit und seiner Mehrheitsfähigkeit halber verwende, keine Freundin von psychologischer Bescheidwisserei und auch keine „ausgewiesene Expertin“. Ich gehe davon aus, dass die unterschiedlichen Inquisitionen hier mehr oder weniger interessegeleitete Skalen haben. Wer alles „Islamophobe“ ausmerzen will, wird so einen Impuls vielleicht phobisch nennen. Ich finde es sinnvoll, gegenüber Männerhorden des beschriebenen Typs durchaus vorsichtig zu sein, aber sich auch nicht den Straßenplatz streitig machen zu lassen. Also in meinen Augen ein völlig normales und angemessenes Verhalten. Wirklich phobisch wäre zum Beispiel, ihnen ohne mehr Anhaltspunkte als ihre Frisuren eine Gewaltabsicht zu unterstellen und deswegen lieber gleich mal selbst zu zu schlagen, um sie an eventuellen Attacken zu hindern, die sie vielleicht gar nicht im Sinn haben.

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  • 27. Mai 2018 um 9:35 am Uhr
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    Die. „unterschiedlichen Inquisitionen, die ihre interessegeleiteten. Skalen haben“ – treffende Kennzeichnung des herrschenden Tribunalismus. Danke für die geduldigen Erwiderungen.

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    • 27. Mai 2018 um 9:58 am Uhr
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      Ich habe zu danken für die Kommentare! „Der herrschende Tribunalismus“ – das ist eine ausgezeichnete Zusammenfassung alles dessen, was mich am „Debattenstil“ der Gegenwart stört.

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